• 15. Februar 2022

„Auch nicht von der CSR-Berichtspflicht betroffene KMU sollten sich mit der Taxonomie auseinandersetzen“ – ein Interview mit Dr. Tim Dreessen zur CSRD

„Auch nicht von der CSR-Berichtspflicht betroffene KMU sollten sich mit der Taxonomie auseinandersetzen“ – ein Interview mit Dr. Tim Dreessen zur CSRD

„Auch nicht von der CSR-Berichtspflicht betroffene KMU sollten sich mit der Taxonomie auseinandersetzen“ – ein Interview mit Dr. Tim Dreessen zur CSRD 1024 535 C4B

Nur Aufwand oder auch Mehrwert? Die EU erweitert mit ihrem Entwurf zur Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) deutlich die Anforderungen an das Berichtwesen. Im zweiten Teil unseres Interviews [Teil 1 können Sie hier nachlesen] erläutert Dr. Tim Dreessen die Bedeutung der Taxonomie, warum sich auch nicht von der CSR-Berichtspflicht betroffene KMU damit auseinandersetzen sollten und welche Chancen für Unternehmen bestehen.

 


Herr Dr. Dreessen, Sie sprachen ja die Taxonomie-Verordnung schon an. Was ist darunter genau zu verstehen?

Die EU-Taxonomie für Sustainable Finance, kurz Taxonomie genannt, ist sozusagen das Herzstück der EU-Regulierung in Sachen Nachhaltigkeit für den Finanzmarkt. Sie ist übrigens bereits seit dem 12. Juli 2020 in Kraft, wesentliche delegierte Verordnungen zur Konkretisierung wurden aber erst zum Jahreswechsel 21/22 im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Neu wird sein, dass die Taxonomie als Klassifizierungssystem auch für die künftig von der CSRD erfassten Unternehmen verpflichtende Grundlage sein soll. Sie soll Unternehmen und Finanzmarktakteuren einen einheitlichen Standard zur Verfügung stellen, mit dem sie ihre ökologische Nachhaltigkeitsleistung bewerten und transparent berichten können. Perspektivisch sollen nur noch diejenigen Aktivitäten von Unternehmen als ökologisch nachhaltig gelten, welche die spezifischen Bedingungen der Taxonomie erfüllen. Insgesamt ist die Taxonomie sehr komplex – und derzeit an vielen Stellen noch unvollständig. Das macht es besonders herausfordernd.

Externe Risiken auf das Geschäftsgeschehen werden von Unternehmen ja bereits bewertet, jetzt kommt eine neue Dimension hinzu, die „Inside-out-Auswirkungen„. Was ist darunter zu verstehen?

Zunächst ist das Thema Nachhaltigkeit ja sehr umfangreich – und jeder versteht darunter etwas anderes. Bisher ging es in der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsthemen eher um die Frage, welche Nachhaltigkeitsfaktoren Einfluss auf den finanziellen Erfolg des Unternehmens haben. So tragen CO2-Emissionen zum Klimawandel bei, und das wiederum kann negative Effekte auf das Unternehmen haben, weil es beispielsweise zu mehr Trockenheit,mehr Wetterextremen oder schlicht höheren Kosten für Energie bzw. Emissionen kommt. Und das hat konkreten Einfluss auf den finanziellen Erfolg des Unternehmens. Das ist die Outside-In-Perspektive. Das Prinzip der „doppelten Materialität“ oder „doppelten Wesentlichkeit“, geht jetzt auch in die andere Richtung und schaut sich an, welchen Einfluss die Aktivitäten der Unternehmen auf externe Faktoren haben. Doppelte Materialität heißt beispielsweise zu fragen: Welchen Einfluss hat das Unternehmen auf das Klima und welchen Einfluss hat das Klima auf das Unternehmen? Und das gilt für alle möglichen Umwelt- und auch gesellschaftlichen Faktoren. Das Konzept der doppelten Wesentlichkeit ist auch ein Kernelement der noch zu entwickelnden EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung – die man als betroffenes Unternehmen also im Auge behalten sollte. Neu ist auch, dass Unternehmen die Umfänge der neuen CSR-Richtlinie nicht nur für sich bedenken, sondern auch auf ihre Lieferkette beziehen müssen. Während einige von ihnen beispielsweise zu Menschenrechtsthemen bereits Prozesse aufgebaut haben, ist ein solches Denken im Bereich CO2 immer noch neu. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das 2023 in Kraft tritt, setzt hier auch bereits erste Leitplanken in ähnliche Richtung.

Müssen sich KMU, die nicht unter die CSR-Berichtspflicht fallen, denn überhaupt mit der Taxonomie auseinandersetzen?

Das sollten sie auf jeden Fall tun, denn auch als KMU kann man von der Taxonomie-Thematik betroffen sein, unabhängig von der eigenen Berichtspflicht. Und zwar aufgrund seiner Stakeholder. Fallen beispielsweise die Geschäftspartner bereits unter die Berichtspflicht, werden diese ihren Bedarf an aus der Taxonomie resultierenden Nachhaltigkeitsinformationen in ihren Lieferketten „durchreichen“ oder bei Kunden abfragen. Als zentrale Akteure der EU Sustainable Finance Initiative sind insbesondere auch Banken und Versicherer in einer Berichtspflicht. Dadurch können KMU auch heute schon mittelbar von der Taxonomie betroffen sein. Das gilt auch für Nutznießer von EU-Förderprogrammen, die sich künftig auch auf Taxonomie-konforme Wirtschaftsaktivitäten konzentrieren sollen.

Was heißt die Aufwertung der Nachhaltigkeitsberichterstattung für das Controlling?

Das Ziel ist natürlich, dass die Informationen, die man zusammenstellt, auch dazu verwendet, das Unternehmen entsprechend nachhaltig auszurichten. Controllerinnen und Controller sind deshalb sicherlich in besonderem Maße betroffen, und zwar hinsichtlich der Ausgestaltung einer integrierten Unternehmenssteuerung. Bisher ist es ja häufig noch ein qualitatives Kommunikationsthema, aber künftig wird es stärker ein quantitatives Finanzthema, bei dem neben traditionell ökonomischen nun auch soziale und ökologische Unternehmensziele hinzukommen. Um Mehrwert aus dem erhöhten Reporting-Aufwand zu erzielen, müssen die für das Unternehmen ja als wesentlich identifizierten Aspekte auch mit der Unternehmensstrategie und -steuerung in Einklang gebracht werden. Dies sollte sich das Controlling nicht aus der Hand nehmen lassen und sein Management entsprechend beraten. Der Facharbeitskreis „Green Controlling for Responsible Business“ des ICV hat mehrere  Whitepaper veröffentlicht, die beim Einstieg in nicht-monetäre Steuerungsgrößen unterstützen.

 

Wenn das Unternehmen viele Berichtspflichten hat: Wie kann man auch diese Berichtspflicht so implementieren, dass sie einen Mehrwert für das Unternehmen hat?

Die veränderten oder verpflichtenden Berichtsstandards sollen ja dazu führen, dass die Unternehmen ihre Performance im Nachhaltigkeitsbereich verbessern. Das kann man als lästige Pflichterfüllung ansehen, kann aber auch Chancen darin sehen – und diese ergreifen. Wenn ich die Integration von Nachhaltigkeit in die Geschäftsprozesse und die nachfolgende Berichterstattung als Chance begreife, dann kann ich sie nutzen, um neue Geschäftsfelder zu identifizieren und zu erschließen, Kosten und Risiken zu reduzieren, Kosten am Kapitalmarkt zu senken, Effizienzen zu verbessern, usw. Und vielleicht gibt es aus Stakeholder-Sicht auch Themen, denen ich in der Vergangenheit nicht so viel Aufmerksamkeit gewidmet habe. Es bietet sich auch an, in diesem Zusammenhang einen Blick nach links oder rechts zu werfen – nämlich zu den Wettbewerbern. Denn sowohl Risiken als auch Chancen sind ja nicht nur unternehmenstypisch, sondern auch branchenbezogen. Wo kann ich mich also künftig vom Wettbewerb differenzieren?

Die neuen Pflichten zur nichtfinanziellen Berichterstattung gelten ja erst ab dem 1. Januar 2024. Warum sollten Unternehmen sich jetzt schon damit befassen?

Weil die Richtung bereits jetzt klar ist. Mit den Sustainable Development Goals (SDGs), dem Pariser Klimaabkommen und dem European Green Deal wurden entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen, an denen sich Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie orientieren sollen. Die EU-Taxonomie, die als neues Regelwerk für nachhaltige Aktivitäten zu verstehen ist, soll dazu beitragen, dass Kapitalflüsse auf gesellschaftlich und langfristig wirtschaftlich nachhaltige Geschäftsmodelle gelenkt werden. Deshalb ist es auch empfehlenswert, sich frühzeitig damit auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt auch, weil man davon ausgehen kann, dass sich zukünftig auch Rating-Agenturen wie ISS ESG, Sustainalytics, Ecovadis, CDP etc. an den Anforderungen der Taxonomie orientieren werden. Entsprechend werden diese ihre Rahmenwerke für die Nachhaltigkeitsberichterstattung umstellen. Deshalb ist es auch vor diesem Hintergrund für Unternehmen – unabhängig von Größe oder Kapitalmarkorientierung – sinnvoll, sich frühzeitig mit den Inhalten der Taxonomie vertraut zu machen. Eine Zusammenfassung zur Relevanz der Taxonomie bietet der ICV in einem White Paper zur EU-Taxonomie.

 

Über Dr. Tim Dreessen

Dr. Tim Dreessen ist CSR-Experte mit Schwerpunkten in Klimaschutz, Energie- und Ressourceneffizienz. Seinen Erfahrungsschatz hat er in über 15 Jahren auf nachhaltigkeitsrelevanten Positionen bei Bosch und Voith gesammelt. Im Rahmen des Green Controllings hat er Reportingsysteme und Zielprogramme zur Effizienzsteigerung von Energie- und Ressourcenverbräuchen und zur Reduzierung von Treibhausgasen entwickelt und implementiert.

Dr. Tim Dreessen auf LinkedIn.

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: Canva, Tim Dreessen

2 Kommentare
  • Rolf Capelle 15. Februar 2022 um 16:13

    Nur Aufwand oder auch Mehrwert, das war die Eingangsfrage. Fest steht, der Aufwand, der hier betrieben werden muss, um „regelkonform“ zu berichten, wird erheblich sein. Es wird sicherlich auch ein gewisser Mehrwert entstehen. Die Frage für mich. Wie viel Aufwand und wie viel mehr Ertrag bleiben in der G+V des Unternehmens stehen. Denn wenn die Unternehmen wirtschaftlich geschwächt werden durch diese Aktion, verlieren Sie schnell ihre Interesse an detaillierter Information.

  • Tim Dreessen 17. Februar 2022 um 18:17

    Zumindest für Kapitalgesellschaften gibt es mittlerweile Metastudien, die CSR-engagierten Unternehmen auch eine überdurchschnittliche Rendite bescheinigen. Für KMU sind mir hierzu tatsächlich keine Studien bekannt. Grundsätzlich tut man sich immer leichter die Aufwände konkret zu beziffern als alle oft auch soften Benefite in Euro zu bewerten ohne den Aufwand nicht noch zusätzlich zu verstärken. Für klassische Effizienzthemen ist ein Baselining meist noch gut zu bewerkstelligen. Reputationssteigerungen für Produkte, Services und als Arbeitgeber sind meist schwieriger von weiteren zeitgleichen Einflussfaktoren abzugrenzen. Zudem ist der Ruf oft schneller ruiniert als aufgebaut, insofern sind Aufwand- und Ertragsbewertung oft stärker zeitlich entkoppelt .
    Da der Aufwand in diesem Fall durch den Gesetzgeber kommt, gilt in diesem Fall eh die alte Weisheit: „Gibt das Leben dir Zitronen, mach Limonade daraus.“

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