Wie gelingt echter Self-Service? Und welche Herausforderungen sind auf dem Weg zur Conversion auf S/4HANA zu nehmen? Aus der One Finance-Praxis berichtet dazu Ben Hübner, Head of Cost Accounting & Management Reporting bei der Dräger AG aus Lübeck. Bereits im ersten Teil unseres Interviews ging es um die Zusammenführung der Bereiche Management Reporting und Cost Accounting im Vorwege der Umstellung auf SAP S/4HANA.
Herr Hübner, Sie haben ja schon berichtet, welche Hürden Sie in Richtung eines integrierten Rechnungswesens nehmen mussten. Welche Herausforderungen gilt es noch zu bewältigen?
Ben Hübner: Herausfordernd ist nach wie vor, dass sich das ERP und die BI über die Jahre auseinander entwickelten. Das lässt sich besonders gut am operativen Vertriebsreporting erkennen: Das CO trägt im Wesentlichen dieselben Informationen (d.h. Umsatz nach Kunde und Material), arbeitet aber eher in der Buchhalterlogik mit dem Ziel der Aufstellung von Monatsabschlüssen. Das bedeutet, dass einmal gebuchte Werte nicht mehr verändert werden und rückwirkende Buchungen nicht möglich sind. Die Anforderung an das operative Vertriebscontrolling ist dagegen, eine immer aktuell abgeleitete Sicht zu haben. Jeder Bereich hat sich für seinen Zweck bestmöglich optimiert. Dabei sind Redundanz, Technologiewettbewerb und vor allem viele Unstimmigkeiten entstanden, da die Abstimmung dabei letztlich auf der Strecke geblieben ist. Wir müssen uns also mit der Frage auseinandersetzen, was – und wo – denn nun eigentlich unser Single Point of Truth ist. Hier bietet die anstehende Conversion auf S/4HANA neue Möglichkeiten und Chancen. Das war einer der Gründe, warum wir in 2019 die Bereiche Management Reporting und Cost Accounting zusammengeführt und im Rechnungswesen aufgehangen haben. Das erklärte Ziel ist, die Welten des ERP und BI, soweit es geht inhaltlich und technisch sinnvoll ist , zusammenzubringen. Alle Teilprozesse vom Buchungssatz zum fertigen Report sind seitdem in der Abteilung Rechnungswesen vereint, was das Denken im „Record to Report-Prozess“ vereinfacht. Das neu zusammengestellte Team an die jeweils andere Welt des BI bzw. ERP zu heranzuführen, stellt dabei die wohl größte Herausforderung dar.
Wie ermöglichen Sie echten Self Service? Wie gestaltet sich die Kommunikation mit den Fachabteilungen?
Die Zentralisierung der Reportingtätigkeiten bietet aus Effizienzgesichtspunkten sehr viele Vorteile und erhöht vor allem auch die Standardisierung und Qualität des Reportings. Gleichzeitig ist das Management Reporting-Team in der Vergangenheit immer wieder zum Engpass geworden, was lokale, suboptimale weil weniger standardisierte Lösungen und sogar eigenständige BI-Lösungen zur Folge hatte, weil die operativen Einheiten nicht auf das Headquarter warten wollten. Seit einiger Zeit gehört daher Missionsarbeit zu unseren Hauptaufgaben – und die Organisation so auszubilden und das Reporting so zu gestalten, dass echter Self-Service möglich ist. Unsere Erfahrung ist, dass dafür auch das Berichtswesen einfacher und leichter zugänglich werden muss, im Zweifel mit Kompromissen bei der Datentiefe. Das wiederum funktioniert aber auch nur, wenn das ERP und BI zusammenwachsen und etwas Gemeinsames geschaffen wird, was anlässlich der S/4HANA Conversion möglich ist.
Wo lässt sich noch Potenzial heben?
Zwei konkrete Beispiele, wo wir Potenzial heben wollen, sind das Vertriebs-Reporting und das Kostenstellen-Reporting: Die Basis für das Vertriebs-Reporting bei Dräger soll für die Umsatzdaten das buchhalterische CO-PA (Margin Analysis CO-MA) darstellen, das um neue Businesslogik erweitert wird. Im BI werden dann nur noch wenig Businesslogik, Auftragseingang und ‑bestand ergänzt und die Daten historisiert. Es werden also Logiken zusammengeführt, Redundanzen abgebaut und ein echter Single Point of Truth aufgebaut, zumindest ist das unser Ziel. Das Zielbild für das Kostenstellen-Reporting wiederum ist noch schlanker, das wird zukünftig direkt aus dem ERP per CDS View zur Verfügung gestellt. Eine Doppelung klassische BAB-Transaktionen und BI Reports ist nicht mehr vorgesehen. Das Konzept der CDS Views nutzen wir seitdem unser ERP on HANA ist, bereits erfolgreich für andere Anwendungsfälle.
Wenn Sie jetzt ein Zwischenfazit ziehen – wie lautet dieses?
All diese Änderungen kommen nicht über Nacht und sind auch nicht unmittelbar Bestandteil unseres S/4HANA Conversion-Projektes. Neben der Technik ist auch eine Änderung des Mindset gefragt – in der Form, dass nun ERP und BI respektive die transaktionalen Buchungen und das Reporting zwei jeweils unzertrennliche Bestandteile darstellen. Wo genau uns die Reise hinführt, werden wir wohl erst nach der Conversion in 2023 so richtig sehen können.
Fotos: Canva, Ben Hübner
Zu Ben Hübner
Ben Hübner ist Head of Cost Accounting & Management Reporting bei der Dräger AG in Lübeck. Der Betriebswirt, der seit 2010 bei Dräger tätig ist, verantwortet seit 2013 den Bereich Management Reporting und ist seit 2019 in der jetzigen Position.
Inhalt