• 7. September 2021

Ende der Insellösungen: SAP S/4HANA als Paradigmenwechsel für das Finance – ein Interview mit Reimund H. Kuche (1/2)

Ende der Insellösungen: SAP S/4HANA als Paradigmenwechsel für das Finance – ein Interview mit Reimund H. Kuche (1/2)

Ende der Insellösungen: SAP S/4HANA als Paradigmenwechsel für das Finance – ein Interview mit Reimund H. Kuche (1/2) 1024 682 C4B

Vernetzteres Denken und Arbeiten, einheitliche Datenstruktur: SAP S/4HANA verändere die strategische Ausrichtung des Finance-Bereiches, sagt Reimund H. Kuche, Management Consultant Digital Finance bei Arvato Systems GmbH. Im Interview erklärt er, was den Paradigmenwechsel ausmacht und welche Chance dem Innewohnen.

 

Herr Kuche, der Umstieg SAP S/4HANA muss laut SAP bis 2027 erfolgen. Ist das nur Zwang – oder bietet das auch Chancen?

SAP ERP 6.0 ist bereits seit 2005 auf dem Markt und wird mit extended Maintenance bis 2030 am Ende ganze 25 Jahre im Markt gewesen sein. Im Kontext der immer rasanter voranschreitenden ERP Weiterentwicklung würde ich daher anstatt von Zwang von einer dann längst überfälligen Modernisierung sprechen. S/4HANA gibt es nun auch schon seit 2015 und ist aktuell mit einem Releasemanagement bis 2040 im Markt. Die technischen Möglichkeiten verändern sich parallel zu übergeordneten Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung, Veränderungen bieten sich dadurch an. Ich würde es nicht als Umstieg, sondern als Weiterentwicklung, um nicht zu sagen als eine Evolution bezeichnen – mit einer stark erhöhten Geschwindigkeit gegenüber beispielsweise 20 Jahren zuvor.

Was ist daran so evolutionär, was stellt die wesentliche Veränderung dar, die die Umstellung auf SAP S/4HANA für den Finance-Bereich mit sich bringt?

Mit S/4HANA Finance können Unternehmen ihr Finanzwesen nicht nur überarbeiten, sondern konsequenter auf das digitale Zeitalter ausrichten. Über Jahre gewachsene System- und Verwaltungsstrukturen lassen sich wieder in eine harmonisierte Landschaft überführen. Die Umstellung stellt regelrecht einen Paradigmenwechsel dar. Dieser ist durch das Datenmodell gegeben, das vereinheitlicht wird und sich viel mehr an Standards orientiert. SAP S/4HANA Finance kann bestehende Insellösungen beenden und schafft integrierte Finanz- und Steuerungssysteme. Die bisherige Silo-Denkweise in der Finance-Welt, in der bestimmte Bereiche ihre eigene Welt vorfinden, wird beendet – weil alle Bereiche künftig auf ein einheitliches, standardisiertes, gleichartiges Datenmodell zugreifen. Man muss viel stärker nach links und rechts schauen – und viel stärker in vernetzten Kategorien denken. Und zwar Vernetzung nicht nur innerhalb der Finance-Bereiche, sondern auch darüber hinaus. Auch über Unternehmensgrenzen hinweg, hin zu den Geschäftspartnern auf Kunden- und Lieferantenebene. SAP S/4HANA Finance kann die digitale Plattform der Zukunft für das Unternehmen sein, weil es vieles deutlich leichter macht: Automatisierung, Datenanalyse, Vermischen interner und externer Daten.

 

Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen?

Die Datenstrukturen bei SAP im Finance-Bereich beziehen sich zukünftig auf eine einzige, umfassende Datentabelle, ACDOCA im „Universal Journal“, in dem alle relevanten Informationen aus dem Hauptbuch und den Nebenbüchern zusammenkommen und dem Berichtswesen zur Verfügung gestellt werden. Die Vielzahl von Tabellen, die bisher konsistent befüllt werden wollten, entfallen mit SAP S/4HANA Finance. Zwar sind die Buchungstabellen für Finanzbuchhaltung, Anlagenbuchhaltung, Controlling und Material Ledger rein technisch gesehen durch einen Kompatibilitätsmodus im Hintergrund noch für eine Übergangszeit vorhanden. Sie sind für die Arbeit des Anwenders allerdings nicht länger relevant.

 

Und das verkürzt künftig auch den Aufwand?

Ja unbedingt. Vor allem ermöglicht es jetzt aber echte End-to-End-Prozesse und schafft damit Transparenz. Durch das „Universal Journal“ entsteht quasi einen Zwang für Finance-Abteilungen zur Zusammenarbeit oder zum gemeinsamen Definieren der Daten, die in diesen Topf mit einfließen. Das verhindert, was bisher sehr oft der Fall war – dass einzelne Anwendungsbereiche (wie z.B. Finanzbuchhaltung) in ihren eigenen Datenmodell unterwegs waren und es dann an den Übergabepunkten zu anderen Abteilungen oder Bereichen (z.B. Controlling) zum Stocken von Prozessen und Datenflüssen kam. In SAP S/4HANA sind die Finance Daten immer abgeglichen. Sie können nicht mehr auseinander laufen, denn es gibt nur noch eine Datenbasis. Immer vorausgesetzt natürlich, dass die einzelnen Bereiche ihre eigenen Dinge in diesem Datenmodell definiert bzw. abgelegt haben.

 

Wie wird das ermöglicht?

Es werden keine Aggregate weitergegeben, die Daten sind immer granular vorhanden. Bisher mussten Zahlen zum Beispiel für die Analyse in Business Intelligence-Systemen (BI) geladen, anschließend überprüft, ggf. im ERP korrigiert, dann wieder ins BI übergeben, nochmals korrigiert werden und so weiter fort, bis die Daten schließlich sauber waren. Der Aufwand für solche Iterationsschleifen entfällt nun völlig, was die Prozesse drastisch beschleunigt. Sowohl Reporting wie auch Planung und Forecast können nun auf Grundlage von Live-Daten realisiert werden. Und alle Zahlen kommen aus einer zentralen „Single Source of Truth.“ Steuerungsrelevante Daten sind nicht erst am Monatsende erhältlich, sondern live. Interne Stakeholder aus unterschiedlichen Abteilungen bekommen die Informationen, die sie für die Steuerung ihrer Arbeit brauchen, nur noch aus einem einzigen System und aus einem gemeinsamen Datenpool, auf den sich das ganze Unternehmen geeinigt hat. Diese „einzige Quelle der Wahrheit“ reduziert den Abstimmungsaufwand und erhöht die Konsistenz von Finanzdaten über alle Bereiche hinweg.

 

In Teil 2 des Interviews erklärt Reimund H. Kuche, worin die Herausforderungen bei der Neueinführung oder Umstellung von SAP S/4HANA bestehen und wie man diese bewältigt.

 

Fotos: Reimund Kuche, Pexels, Unsplash

 

Über Reimund H. Kuche

Reimund H. Kuche, Management Consultant Digital Finance bei Arvato Systems GmbH, ist Spezialist auf dem Gebiet SAP S/4 HANA.

Reimund H. Kuche auf LinkedIn und Xing.