• 4. November 2021

„Standardisierungen: Finden des Sweet Spot zwischen dem was global möglich und was lokal nötig ist“ – ein Interview mit Michael Diederichs, Country Controller der Deutsche Shell Holding, zu den Anforderungen an die Controlling-Organisation der Zukunft (1/2)

„Standardisierungen: Finden des Sweet Spot zwischen dem was global möglich und was lokal nötig ist“ – ein Interview mit Michael Diederichs, Country Controller der Deutsche Shell Holding, zu den Anforderungen an die Controlling-Organisation der Zukunft (1/2)

„Standardisierungen: Finden des Sweet Spot zwischen dem was global möglich und was lokal nötig ist“ – ein Interview mit Michael Diederichs, Country Controller der Deutsche Shell Holding, zu den Anforderungen an die Controlling-Organisation der Zukunft (1/2) 1024 577 C4B

Wer kennt es nicht – das Logo mit der gelb-roten Muschel: Markenzeichen für Shell, eines der führenden Energieunternehmen der Welt. In mehr als 70 Ländern beschäftigt das Unternehmen rund 84.000 Mitarbeiter, davon in Deutschland rund 3.600 Mitarbeiter. Welche Voraussetzungen für die Digitalisierung und Automatisierung der Finanzorganisation des Konzerns geschaffen wurden und worin die größten Herausforderungen in Richtung Controlling-Organisation der Zukunft bestanden, berichtet Michael Diederichs im Interview mit C4B. Der Manager ist Country Controller der Deutschen Shell Holding GmbH.

Herr Diederichs, was war die Grundvoraussetzung für die Digitalisierung und Automatisierung der Finanzorganisation bei Shell?

Michael Diederichs: Elementar war und ist die Standardisierung von Geschäftsprozessen. In einer globalen Organisation wie der unsrigen, aber auch in lokalen Unternehmen mit Niederlassungen und Tochtergesellschaften, hat jede Einheit über die Jahre gewachsene Abläufe und Prozesse bei ihren Geschäftsvorgängen. Wenn man plant, Prozesse in eine andere Einheit zu übertragen – ob nun das Offshoring oder auch das Outsourcing von Prozessen – müssen diese zuerst dokumentiert werden. Transparenz aller in der Finanzorganisation ablaufenden Prozesse, Schnittstellen und Kontrollen sind die Basis für ein gutes Verständnis des Status Quo.


Ein weiterer wichtiger Schritt war für uns dann, global Verantwortliche für die einzelnen Geschäftsprozesse einzusetzen. Ebenso wie wir Verantwortliche für einen Geschäftsbereich wie beispielsweise Sales haben. Diese globalen Process Owner, beispielsweise für den Geschäftsprozess Payables oder Cash-Management, sind weltweit zuständig dafür, dass ein Prozess, soweit es geht, global standardisiert wird. Und jede Abweichung von diesem Prozess, die z.B. aus Veränderungen des wirtschaftlichen Umfeldes resultieren können, muss mit dem Process Owner abgestimmt werden.

Zusammenfassend sind also folgende Schritte sinnvoll: Die eigenen Prozesse zu kennen und abzubilden, sie dann zu standardisieren, Entscheidungsstrukturen zu schaffen und schlussendlich die Prozesse laufend zu verbessern.

Wie gehen Sie dann damit um, wenn es in einzelnen Einheiten, beispielsweise auf Länderebene, den Wunsch gibt, von diesem Standarisierungsprozess abzuweichen?

Michael Diederichs: Es gibt immer jemanden der sagt „Bei mir ist aber alles anders, für meinen Bereich ist es ganz wichtig, dass mein Geschäftsprozess anders läuft als global vereinbart“. Hier gibt es verschiedene Regeln, die vorher definiert wurden. Wenn beispielsweise ein neu definierter globaler Prozess eine nationale Steuergesetzgebung nicht einhalten würde, dann muss natürlich für dieses Land oder diese Länder eine Ausnahmegenehmigung zum globalen Ablauf geschaffen werden.

Wie viel Prozent der Ausnahmewünsche werden denn tatsächlich letztendlich erfüllt?

Michael Diederichs: Das ist nur ein kleiner Prozentsatz, der nicht einmal zweistellig sein wird.

Nach erfolgter Standardisierung – wie ist es heute um die Effizienz, die Prozessgeschwindigkeit und die Kosten bestellt? Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Michael Diederichs: Bei uns muss man das Ganze global betrachten. Viele Einheiten betrieben in der Vergangenheit einen relativ hohen manuellen Aufwand. Das bedingte natürlich hohe Kosten, beispielsweise für Kontrollen. Wir haben diese Kosten durch Standardisierung und Offshoring stark reduziert und Effienzen gesteigert. Das ist die eine Seite. Die andere Seite betrifft die Automatisierung. Je mehr Prozesse ein Unternehmen standardisiert und in je mehr Länder diese implementiert werden, desto eher macht auch eine Automatisierung Sinn, denn dann hat man genug kritische Masse. Mit anderen Worten: Eine hohe Standardisierung über viele Prozesse, über ein hohes Volumen beziehungsweise eine hohe Anzahl an Transaktionen macht eine Automatisierung erst sinnvoll. Sonst ist letztendlich der IT-Aufwand für die Automatisierung höher als der Ertrag.


Welche Nachteile bringt die Standardisierung mit sich?

Michael Diederichs: Die andere Seite der Medaille ist, dass aus Sicht bestimmer Einheiten speziell auf sie zugeschnitte lokale Lösungen optimiert wurden und Standardisierungen dahinter zurückfallen. Nehmen Sie als Beispiel Geschäftsprozesse mit Ihrer lokalen Bank, die sie über Jahre hinweg optimiert haben. Auch wenn das nach der Standardisierung globaler Abläufe nicht mehr der Fall ist, können dennoch unter dem Strich für das Gesamtunternehmen Vorteile bei Kosten, Effizienz und Wissensmanagement stehen. Und die Wissensvorteile sind erheblich. Durch die Standardisierung der Prozesse haben wir in den Shared Support Centern jeweils ein sogenanntes Center of Knowledge oder Center of Excellence etabliert. Die Shared Support Center kennen ihren Bereich und ihren Prozess bis ins kleinste Detail – beispielsweise wie Eingangsrechnungen optimal bearbeitet werden. Dadurch hat man einen Pool an Mitarbeitern, die ein umfangreiches Wissen über einen speziellen Bereich haben. Für sie können wir spezielle Trainings zuschneiden, die Mitarbeiter lernen voneinander, wir halten das Wissen jederzeit und langfristig vor. Und jeder Mitarbeiter kann jederzeit für einen anderen einspringen.

Wie stellen Sie mit standardisierten Prozessen grundsätzlich sicher, dass alle Compliance-Anforderungen weltweit eingehalten werden?

Michael Diederichs: Wir haben in der Shell zunächst unsere Policies und Guidelines. Das beginnt mit Befugnisregeln, festgehalten in unseren Befugnis-Handbüchern, die festlegen, bis zu welchem Betrag der einzelne Mitarbeiter Rechnungen freigibt. Das wird über Befugnis-Hierarchien kontrolliert. Zudem haben wir globale Richtlinien, die z.B. sicherstellen, dass Handelskontrollen eingehalten werden. Die Umsetzung wird durch unsere globalen Trade Compliance Experten unterstützt. Dazu gehören global die Einhaltung aller Exportkontrollvorschriften, Embargos und sonstigen außenwirtschaftsrechtlichen Vorschriften. Ein weiteres Beispiel sind die SOX-Kontrollen, mit denen wir sicherstellen, dass die Regularien des Sarbanes-Oxley Act (SOX) eingehalten werden. Das wird ebenfalls zentral sichergestellt und kann global gesteuert werden. Auf der anderen Seite haben wir dann unsere lokalen Verantwortlichen, die zusätzlich die lokalen Regularien kennen und sicherstellen müssen, dass wir mit neu eingeführten globalen Prozessen auch regelkonform und gesetzeskonform nach beispielsweise deutschem Recht handeln. Jedes Land hat seinen lokalen Verantwortlichen und dieser arbeitet im Zusammenspiel mit den globalen Prozessverantwortlichen, die ihren Teil kennen. In Deutschland haben wir außerdem ein CMS (Compliance Management System) eingeführt, mit dem wir Finanz- und Steuerrisiken analysieren, bewerten und mitigieren.


Digitalisierung und Automatisierung werden ja gerne gleichgesetzt. Wie haben Sie den Prozess erlebt – ging das Hand in Hand?

Michael Diederichs: Nein, das kann man nicht unbedingt gleichsetzen. Wir sehen, dass einige Geschäftsprozesse weiterhin manuell durchgeführt werden. Zwar in einem Shared Support Center und weltweit gleich, aber noch nicht komplett automatisiert. Daran arbeiten wir.

Im zweiten Teil des Interviews mit Michael Diederichs geht es um sein Rollenverständnis und wie die digitale Transformation die Rolle der Finanzverantwortlichen verändert.

Fotos: Michael Diederichs, Unsplash, Canva

 

Über Michael Diederichs

Michael Diederichs ist seit 2017 als Country Controller bei der Deutsche Shell Holding GmbH in Hamburg tätig. In dieser Rolle verantwortet er die Zahlenwerke für die einzelnen Shell Gesellschaften in Deutschland, weiterhin ist er Geschäftsführer der Shell Global Solutions Deutschland und der CRI Deutschland GmbH. Im Laufe seiner 28 Jahre bei Shell hat er in verschiedenen Rollen in Deutschland, Singapur und den Niederlanden u.a. als Commercial Fuels Mgr Europe, Manufacturing Finance Mgr und Commercial Road Transport Finance Mgr gearbeitet. Vor seinem Start bei Shell hat Michael Diederichs eine Bankausbildung bei der Commerzbank absolviert sowie ein Studium der Betriebswirtschaft in Saarbrücken und Frankfurt/Main.

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