Befördert die Corona-Krise die Umsetzung von New Work-Modellen? Und wie können Unternehmen künftig diese Art der Zusammenarbeit gestalten? Nicole Engenhardt-Gillé, Leiterin Konzernpersonal bei der freenet Group, erläutert im Interview, worauf Unternehmen und Mitarbeiter achten sollten und wie eine New Work-Kultur gelingt.
Frau Engenhardt-Gillé, mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurden quasi über Nacht viele Beschäftigte ins Homeoffice geschickt. Vielfach hörte man: Jetzt ist New Work die neue Realität. Sind wir wirklich schon soweit?
Nicole Engenhardt-Gillé: Die Pandemie ist ein Push für New Work – für das digitale Arbeiten. Die damit verbundene Kulturveränderung braucht Zeit, um in den Unternehmen anzukommen.
Worum geht es bei New Work?
Nicole Engenhardt-Gillé: Vor Corona war New Work ein Buzzword, es ging um Kollaboration, Agilität, das Hinterfragen von Hierarchien, neue Bürowelten und sich verändernde Bedürfnisse der Mitarbeiter an die Arbeitswelt. Während des Lockdowns war es digitales, kollaboratives Arbeiten im Homeoffice. Aktuell stellen wir uns die Frage, was davon ist heute normal, was bleibt und wie sieht die Zukunft in der Arbeitswelt aus.
New Work wird oft mit „Mehr Freiräume im Job“ gleichgesetzt. Wovon profitieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Einschätzung nach am meisten?
Nicole Engenhardt-Gillé: Einige Vorteile des mobilen Arbeitens sind:
- konzentriertes Arbeiten z.B. für IT-Entwickler
- Weniger Meetings, Zeitersparnis in Videomeetings
- Nutzung der modernen IT-Technologie
- Schutz der Mitarbeiter*innen vor Einflüssen der Pandemie
- Mitarbeiterzufriedenheit durch flexiblere Arbeit
- Entfall von Fahrzeiten/-wegen und somit Kostenersparnis für die Mitarbeiter*innen
- Verbesserte Work/Life-Balance
- Chance für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung durch Übernahme von Verantwortung von Themen sich positiv zu beweisen
- Aufgeschlossenheit für neue Technologien und Arbeitsmethoden
Das, was der eine als Freiheitsgrad empfindet, wird von einem anderen eher als Belastung empfunden. Ist das Konzept für jeden Mitarbeitertypus gleichermaßen vorteilhaft? Auch unter Corona-Bedingungen wünschten sich einige MitarbeiterInnen sehr schnell wieder an ihren Arbeitsplatz zu den alten Strukturen zurück.
Nicole Engenhardt-Gillé: Jedes Konzept bietet Vor- und Nachteile, die sich auf die Mitarbeiter je nach Alter, Lebensphase und Berufswahl unterschiedlich auswirken. Eine große Anzahl an Arbeitnehmern kann nicht von zuhause arbeiten (Logistik, Einzelhandel, Pflegeberufe etc.). Hinzu kommt, dass Arbeitnehmer unterschiedlich auf die neue Situation reagiert haben und jeder einen neuen Tagesablauf für sich finden musste. Der Übergang von Freizeit zu Arbeitszeit liegt zuhause sehr nah beieinander. Weiterhin war die Doppelbelastung für viele Arbeitnehmer, die gleichzeitig die Kinderbetreuung stemmen mussten, hoch.
Wo sehen Sie grundsätzlich die Nachteile für die Beschäftigten?
Nicole Engenhardt-Gillé: Einige Nachteile sind:
- weniger persönlicher Kontakt, persönliche Gespräche entfallen
- weniger Innovationskraft für neue Produkte, Ideen, Geschäftsfelder
- Zusammenhalt im Team ist schwieriger zu gestalten
- Nicht alle Mitarbeiter*innen fühlen sich im mobilen Arbeiten wohl
- Nicht alle Mitarbeiter*innen haben zu Hause die Möglichkeit in einem extra Arbeitszimmer mit Büroausstattung zu arbeiten.
- Begleitung durch den Vorgesetzen*in ist schwieriger
- Sichtbarkeit gerade der Erziehungsverantwortlichen war schlechter
- Netzwerke wurden z.T. weniger gepflegt
Inwiefern profitiert das Unternehmen von New Work?
Nicole Engenhardt-Gillé: Wir als freenet Group haben vor allem davon profitiert, dass wir bereits sehr digital aufgestellt waren und die technischen Voraussetzungen für mobiles Arbeiten von zuhause an den meisten Stellen im Unternehmen bereits gegeben waren. Der Einsatz von Laptops und die Nutzung von Office365 inkl. Video-Telefonie und Bildschirmübertragung via Teams waren an dieser Stelle sehr hilfreich.
Für viele Unternehmen sind neue Formen der Zusammenarbeit ein großer Kulturwandel. Wie klappt eine Einführung beziehungsweise Umstellung auf neue Arbeitsformen?
Nicole Engenhardt-Gillé: Die Umstellung war bei uns bereits vollzogen, daher hatten wir wenig Herausforderungen an dieser Stelle. Durch Corona haben weniger digitale Unternehmen den Sprung ins kalte Wasser gewagt und haben einfach gemacht. Digitale Lerninhalte und Raum für Rückfragen, Sensibilisierung der Führungskräfte und Best Practices sind begleitende, hilfreiche Maßnahmen.
Mit der Pandemie setzten plötzlich fast alle Unternehmen auf Zoom- oder Skype-Meetings, Zusammenarbeit über MS Teams. Das hat die Art der Zusammenarbeit stark verändert. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die größten Vorteile? Was sollten Unternehmen sich hier – auch künftig – zunutze machen
Nicole Engenhardt-Gillé: Meetings über Teams haben wir als sehr effizient erlebt. Tagesordnungen wurden strikter eingehalten, der berühmte Kaffee war zu Beginn des Termins am Arbeitsplatz und die Kollegen waren konsequenter vorbereitet. Nutzung der Kamera für Videotelefonie ist unbedingt zu empfehlen, um den Fokus zu schärfen. Die positiven Seiten der neuen Art der Zusammenarbeit sollten auch zukünftig beibehalten werden.
In vielen Unternehmen wurde durch das Homeoffice der Tag eher noch länger als kürzer, eine Videokonferenz folgte auf die nächste. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen, gefühlt nahm der Abstimmungsaufwand zu. Was gibt es für Ansätze, das zu vermeiden?
Nicole Engenhardt-Gillé: Als gemeinsamen Start in den Tag wurde in vielen Bereichen ein morgendlicher Austausch-Call etabliert, um den Tag zu strukturieren und Ziele im Blick zu behalten. Pausen- und Feierabendzeiten wurden innerhalb der Teams abgestimmt. Feste Regeltelkos in bestimmten Gruppen oder Projekten geben den Kollegen Struktur im Tagesablauf. Grundsätzlich ist es Führungsaufgabe auch die persönlichen Belange der Mitarbeiter bestmöglich zu berücksichtigen, wie z.B. Vereinbarkeit von Arbeit und Homeschooling.
Hat sich durch den Corona-Lockdown für Sie und Ihre KollegInnen noch etwas verändert? Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen?
Nicole Engenhardt-Gillé: Der Einsatz der Kamera für Videotelefonie hat deutlich zugenommen und mehr Akzeptanz erhalten. Dadurch entsteht trotz räumlicher Distanz eine persönlichere Nähe und Verständnis füreinander (z.B. das Kind huscht im Hintergrund durch das Bild).
Welche Bedeutung hat das gemeinsame Büro noch? Werden feste Arbeitsplätze – der klassische Arbeitsplatz für jeden Mitarbeiter – damit überflüssig?
Nicole Engenhardt-Gillé: Wir stehen für eine Office-Kultur mit offenen Türen und persönlichem Austausch in Präsenz-Meetings sowie auf den Fluren und in den Kaffeeküchen. Wir sind davon überzeugt, dass der persönliche Austausch vor Ort nach wie vor extrem wichtig ist. Mobiles Arbeiten ist für uns eine Ergänzung. Wir glauben aber auch, dass nicht jeder Mitarbeiter seinen eigenen Schreibtisch in der Zukunft haben wird.
Für Mitarbeiter war es schwieriger, Privatleben und Beruf voneinander zu trennen. Wie können Arbeitgeber hier gut für ihre Beschäftigten sorgen?
Nicole Engenhardt-Gillé: Die grundsätzlichen Arbeitszeiten und Pausenregelungen sind einzuhalten. Viele Teams bei uns haben mit einem Morgen-Call den Tag begonnen. Wir haben außerdem virtuelle Live-Bewegungseinheiten angeboten, um das Gemeinschaftsgefühl trotz räumlicher Distanz zu stärken und etwas für die Gesundheit unserer Mitarbeiter zu tun. Daneben haben wir die Führungskräfte zu Führen auf Distanz geschult und einen Kanal zum Austausch geschaffen. Kollegen haben sich auf virtuelle Kaffees getroffen und neue, virtuelle Formate wurden ausprobiert.
Neue Weiterbildungsformate haben ebenfalls an Bedeutung gewonnen, die Anzahl digitaler Angebote nimmt zu. Wo liegen Ihrer Ansicht nach die Vorteile?
Nicole Engenhardt-Gillé: Unser Angebot zu digitalen Lerninhalten haben wir um aktuelle Inhalte erweitert, wie z.B. Führen auf Distanz, Umgang mit Office-Paketen, Achtsamkeit im Arbeitsalltag sowie Coronakrise – Arbeiten von Zuhause. Diese Inhalte können von überall und mit frei einzuteilender Zeit, bearbeitet werden. Durch die digitalen Inhalte entstehen keine oder weniger Reisekosten und Reisezeit.
Sehen Sie auch Nachteile?
Nicole Engenhardt-Gillé: Netzwerken und der persönliche Austausch fehlen im Gegensatz zu Präsenzveranstaltungen.
Wie muss eine New-Work-Kultur aussehen?
Nicole Engenhardt-Gillé: Eine New-Work-Kultur muss zu den individuellen Bedürfnissen und Anforderungen des jeweiligen Unternehmens passen. Eine Formel für alle gibt es aus meiner Sicht nicht.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Nicole Engenhardt-Gillé: Ich wünsche mir, dass wir die positiven Aspekte und Erkenntnisse nachhaltig etablieren und die Offenheit gegenüber Veränderungen beibehalten.
Nicole Engenhardt-Gillé ist Leiterin Konzernpersonal bei der freenet Group, zu der Marken wie mobilcom-debitel, freenet.de, klarmobil oder GRAVIS gehören. Die studierte Juristin ist seit 2000 im Unternehmen und seit 2009 Leiterin Konzernpersonal und Beteiligungsmanagement, zudem seit 2013 Mitglied des Aufsichtsrats. Das Unternehmen beschäftigt an neun Standorten in Deutschland insgesamt 4.238 Mitarbeiter. Nicole Engenhardt-Gillé auf Xing und LinkedIn.