Dort, wo Menschen miteinander arbeiten, lassen sich Fehler nicht immer vermeiden. Was Unternehmen von der Luftfahrt in Sachen Risiko- und Fehlermanagement lernen können, erklärt Eckhard Jann, Sicherheits- und Krisenmanager sowie aktiver Flugkapitän.
Herr Jann, die Luftfahrt gilt in Sachen Fehlermanagement als Vorreiter. Was kann man von der Flugsicherheit für die Unternehmenssicherheit lernen?
Eckhard Jann: In der Luftfahrt gelten sehr konkrete Sicherheitsstandards, und zwar über alle Bereiche hinweg. Zu jedem Zeitpunkt ist immer klar, was jeder Bereich macht. Es spielt keine Rolle, mit welchem Kollegen ich das nächste Mal fliege, denn es gelten immer dieselben Abläufe, dieselben Prozesse. Standardisierung ist also der erste wichtige Punkt, Standards können die Umsetzung von Vorschriften erleichtern.
Welche Aspekte sind Ihrer Erfahrung nach noch wichtig?
Eckhard Jann: Der zweite wichtige Aspekt ist die regelmäßige Qualifizierung der Mitarbeiter. Regelmäßige Trainings, mehrfach im Jahr, stellen sicher, dass der Standard hochgehalten wird. Der dritte wichtige Punkt ist Redundanz in den Arbeitsabläufen. Es spielt keine Rolle, ob ich den Handgriff hundert oder tausend Mal gemacht habe – wir haben im Cockpit immer wieder Checklisten dabei, um uns kritisch zu hinterfragen, und zwar bei jedem Arbeitsprozess. Eine besonders wichtige Rolle hat zudem das vorausschauende Sicherheitsmanagement, das proaktiv Entwicklungen antizipiert.
Worauf müssen Unternehmen bei der Analyse von Fehlern, Vorfällen oder Krisen besonders schauen?
Eckhard Jann: Bei der Bewertung von Fehlern ist wichtig, dass nicht nur der eigentliche Fehler betrachtet wird, sondern auch die Hintergründe für die Handlung und damit die Fehlerkette genau analysiert werden. Es gibt niemanden, von wenigen unrühmlichen Ausnahmen abgesehen, der morgens in den Betrieb fährt und beabsichtigt, einen Fehler zu machen oder jemandem vorsätzlich zu schaden. Man kann davon ausgehen, dass jeder zunächst einmal motiviert ist, seinen Job so gut wie möglich zu machen. Trotzdem gibt es Situationen, in denen uns Fehler unterlaufen. Deshalb gilt es immer auch, nach der Ursache zu forschen. Ebenso wichtig ist es, eine Risikobewertung der Fehler vorzunehmen, um für künftige Sicherheitsstandards entsprechend Prioritäten setzen zu können.
Das Spektrum möglicher Krisen ist riesig – und von Branche zu Branche auch sehr unterschiedlich. Auf Vorfälle in Krankenhäusern reagiert die Öffentlichkeit sehr sensibel. Können Sie trotzdem Tipps geben, die branchenübergreifend wichtig sind?
Eckhard Jann: Fehler entstehen häufig im kleinen, alltäglichen Bereich. Nehmen Sie sich die Zeit und analysieren die Hintergründe der Fehler, analysieren die Fehlerkette und finden Sie den Fehler Eins. Es gibt immer Gründe, warum Menschen sich anders verhalten haben als wir es vielleicht erwarten.
In einem Interview erwähnten Sie, dass die gelebte Fehlerkultur im Unternehmen und eine Vertrauensbasis wichtig seien. Inwiefern?
Eckhard Jann: Für die Sicherheit an Bord wäre es fatal, wenn Fehler der Flugbesatzung aus Angst vor Sanktionen einfach unter den Teppich gekehrt würden. Der offene Umgang mit Fehlern ist deshalb das A und O. Unternehmensgründer kennen die sogenannten „Fuckup-Nights“. Dort wird offen über die Fehler gesprochen, die die Geschäftsführer gemacht haben. Alle profitieren davon und lernen daraus. Interessanterweise wird aber genau das in den Unternehmen für die Mitarbeiter kaum gemacht. Eine Fehlerkultur lebt davon, dass die Mitarbeiter sich vertrauensvoll an eine Person wenden können, um ihre Fehler quasi zu beichten. Es hilft dem Einzelnen und es hilft ganz besonders dem Unternehmen.
Mitarbeiter:innen sollen Fehler berichten, ohne dabei Sanktionen fürchten zu müssen?
Eckhard Jann: Ganz genau. Die Beichtfunktion hat zwei Benefits. Zum einen kann der betroffene Mitarbeiter die Last loswerden. Zum zweiten kann im Unternehmen dadurch erstmalig eine ernsthafte Analyse und Bewertung von Fehlern vorgenommen werden. Um die Fehlerkultur im Unternehmen zu ändern, kann dies der erste wichtige Schritt sein. Wie entscheidend die Unternehmenskultur ist, zeigt das Beispiel VW. Nachdem der VW-Konzern mit dem Abgasskandal in die größte Krise seiner Geschichte gerutscht ist, sagte der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh: „Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden. Wir brauchen eine Kultur, in der man mit seinem Vorgesetzten um den besten Weg streiten kann und darf. Wir brauchen eine Kultur, in der alle Abteilungen – über Bereiche hinweg – zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen.“ Das gilt für jede Unternehmen.
Unternehmen wollen, dass beispielsweise Produkte fehlerfrei produziert und ausgeliefert werden. Doch Unternehmen wie auch die Mitarbeiter:innen können sich nur weiterentwickeln, wenn Sie etwas Neues ausprobieren, wenn sie auch mal Fehler machen können und dürfen. Wie lässt sich dieser Konflikt bei einer Null-Fehler-Strategie im operativen Tagesgeschäft lösen?
Eckhard Jann: Dieses scheinbare Dilemma lässt sich recht einfach lösen. Schauen Sie sich die Herangehensweise von Elon Musk bei seinem Unternehmen Space X an. Er hat damit gerechnet, dass es Fehlschläge geben wird, bis eine Rakete erfolgreich und sicher mit Astronauten an Bord starten würde. Der Unterschied war allerdings, dass die Fehlschläge und die Ursachen für die Fehler außerordentlich akribisch untersucht worden sind. Desweiteren dürfen solche Fehler nur im gesicherten Umfeld stattfinden. Sie würden ja auch niemals freiwillig in einen Flieger steigen, bei dem ungetestete Systeme erstmals ausprobiert werden. Oder sich von einem Arzt operieren lassen, der dies zum ersten Mal macht, ohne erfahrene Unterstützung.
Wenn Sie als Berater ins Unternehmen geholt werden, wie setzen Sie Prozesse auf, um künftig Fehler zu verhindern?
Eckhard Jann: Es ist ein Top to Bottom Ansatz. Ich beginne mit Gesprächen und Vorträgen bei der Geschäftsleitung und den Führungskräften, so geht es durch die verschiedenen Ebenen bis zur untersten Mitarbeiterebene. Dann entwickeln wir gemeinsam die Verfahren, um ein vertrauliches Fehlermeldesystem zu etablieren. Anschließend werden die zuständigen Mitarbeiter und Gremien geschult. Ein Aha-Erlebnis ist jedes Mal aufs Neue, dass die Mitarbeiter in der Anfangszeit direkte und unmittelbare Unterstützung bei der Bewertung der ersten echten Fehlermeldungen benötigen. Dann aber haben sie das Prinzip der Fehlerkette und der Suche nach dem Fehler Eins verstanden. Der Erfolg ist jedes Mal wieder frappierend.
Fotos: Eckhard Jann || NeONBRAND Unsplash
Über Eckhard Jann
Eckhard Jann ist Sicherheits- und Krisenmanager und blickt auf über zwanzig Jahre praktische Erfahrung in Sicherheitsanalysen, -bewertungen, Risikobewältigung sowie der Entwicklung und Umsetzung funktionierender Sicherheitsmanagement Systeme zurück. Außerdem ist er aktiver Flugkapitän einer renommierten deutschen Ferienfluggesellschaft.
Mit seinem Unternehmen Safetyone berät er Unternehmen.
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