Die Eröffnung des neuen Mega-Flughafens in Peking sorgte jüngst für Schlagzeilen. Der Flughafen konnte nach nur vier Jahren Bauzeit eröffnet werden und soll bis 2021 rund 45 Millionen Passagiere im Jahr transportieren und später auf 100 Millionen erweitert werden. Der neue Flughafen wurde in den Staatsmedien als Zeichen für Chinas Leistungsfähigkeit und Wachstum gefeiert. „Berlin kann von Peking lernen“, hatte es schon während des Baus in Medien der Volksrepublik geheißen. Doch was genau kann man von den Chinesen lernen? Und will man das überhaupt? In seinem Gastbeitrag für den C4B Blog berichtet Tim Schröder, Student der Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin, über seine Zeit im Land.
Lesen Sie hier den ersten Teil seines Gastbeitrags über die Geschichte Chinas.
Das System Chinas hat mich zugleich beeindruckt und erschreckt. Während meines insgesamt einjährigen Aufenthalts im Land habe ich tieferen Einblick in das Staats- und Gesellschaftssystem nehmen können. Im vorliegenden Beitrag schildere ich meine persönlichen Erfahrungen aus dieser Zeit.
Im September 2018 begann mein geplantes Auslandsstudienjahr meines Elektrotechnikstudiums an der chinesischen Eliteuniversität Shanghai Jiao Tong. Gewohnt habe ich während des Studiums bei meiner chinesischen Gastfamilie. Mein Gastvater He Yun ist Maschinenbau-Professor, meine Gastmutter Honghong Buchhalterin und mein Gastbruder Henry hat Maschinenbau zum Teil in Stuttgart studiert. Er spricht sehr gutes Deutsch, deshalb hatte ich zumindest mit ihm keine Verständigungsprobleme. Sie sind eine ganz normale Familie der oberen Mittelschicht, haben normale Jobs und wohnen in einer schönen Wohnung am Stadtrand. Doch für mich sind sie im Laufe der Zeit etwas ganz Besonderes geworden. China war für mich immer ein Land des großen Fortschritts. Gleich nach der Ankunft am enorm großen Shanghai Pudong Airport fuhr mich die Magnetschwebebahn mit 430 km/h in die Innenstadt. Die Skyline bei Nacht ist wie ein Feuerwerk, endlose Reihen Wolkenkratzer hinter dem Fluss Huangpu. Alles ist sauber, der öffentliche Verkehr ist sehr gut ausgebaut. Auch der Universitätscampus ist unglaublich modern und weitläufig, sogar das Essen in der Mensa war deutlich vielfältiger und frischer als in Berlin. Meine Erwartungen wurden auf den ersten Blick mehr als übertroffen, doch nach und nach stellte ich fest: irgendetwas ist anders.
Zuerst war es nur ein mulmiges Gefühl, dann setzen sich kleine Beobachtungen wie Teile eines Puzzles zusammen. Als normaler Tourist würde man diese Dinge nicht bemerken. Es wird sogar sehr viel Wert darauf gelegt, dass dies nicht geschieht. So war eine Universität für mich immer ein Ort des freien Meinungsaustausches, an dem man zur Diskussion angeregt wird. In China laufen die Dinge ein wenig anders. Der Unterrichtsstoff wird sehr frontal zum Besten gegeben, es wird fleißig genickt, notiert und auswendig gelernt. Normalerweise erspare ich mir diese Art der Vorlesung, doch es herrscht Anwesenheitspflicht. Ich versuchte, mit meinen chinesischen Kommilitonen eine Hausaufgabengruppe zu bilden, doch stieß eher auf Verwunderung. Üblicherweise lernt hier jeder für sich in der 24 Stunden geöffneten Bibliothek. Bei Diskussionen über den Stoff hörte ich oft, der Herr Professor habe dieses oder jenes gesagt. Was der Professor sagt, wird unter keinen Umständen in Frage gestellt. Auch zu generellen Themen fiel es meiner Wahrnehmung nach den chinesischen Kommilitonen schwer, sich eine reflektierte Meinung zu bilden. Eigentlich widmen sich die Studenten nur ihrem Studium und haben sehr wenig Zeit, um soziale Kontakte zu pflegen.
Tim Schröder (links im Bild) mit Kommilitonen
Lebenslanger Drill
In der Shanghai Jiao Tong University als Chinese angenommen zu werden bedeutet, dass man sein ganzes Leben nur auf dieses Ziel hingearbeitet hat. Schon von klein auf werden die Kinder gedrillt, um in die besten Kindergärten, dann Grundschulen und schließlich Gymnasien zu gelangen. In der Yunnan Provinz habe ich für zwei Nächte auf der Couch eines Englischlehrers übernachtet, dessen Schüler ein Alter von anderthalb bis drei Jahren haben. Durch die damalige Ein-Kind-Politik waren viele meiner Kommilitonen Einzelkinder, der Umgang mit Gleichaltrigen fiel ihnen nicht leicht. Bei uns lernt man schon von Kindesbeinen an Freunde zu finden, sich eine eigene Meinung zu bilden. Nicht nur im Elternhaus, auch in der Schule wurden wir dazu angeregt, auch immer über den Tellerrand hinaus zu schauen. In China stellte ich fest, dass all dies nicht Teil des Bildungssystem ist. Die Informationsdichte ist unglaublich hoch, dafür sind die ungewöhnlichen oder kreativen Anwendungsmöglichkeiten sehr gering. Ich denke, dass dies ein Grund dafür ist, warum das Innovationspotenzial Chinas eingeschränkt ist. Stattdessen muss Know-how eingekauft oder Wirtschaftsspionage betrieben werden. Warum fördert man nicht eine reflektierte, innovative Art zu denken?
Versetzt man sich in die Lage Pekings, so sind die Universitäten sehr gefährliche Orte, an denen sich neuartige, gar revolutionäre Ideen wie ein Lauffeuer verbreiten. Also muss das Bildungssystem überwacht werden, um die Systemtreue der Bildungsstätten zu garantieren. Die kleinen Überwachungskameras in jedem Hörsaal gehören zur Grundausstattung. Die chinesischen Studenten haben als ein Pflichtfach Politik, die Professoren müssen an regelmäßig stattfindenden politischen Lesungen teilnehmen. Selbst zu Hause in meiner Gastfamilie oder mit chinesischen Freunden gab es Themen, die nicht diskutiert werden. Unter diese Kategorie fällt auch die aktuelle Politik, das System und besonders der Staatspräsent Xi Jinping.
Im dritten Teil und letzten seines Gastbeitrags berichtet Tim Schröder über seine Erfahrungen mit öffentlicher Meinungsäußerung sowie seine Begegnungen mit Chinesen während seiner Rundreise durch das Land.
Quellenangaben:
Reporter ohne Grenzen (2019, 2. August): Inhaftierte Journalisten in Lebensgefahr. URL: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/china/alle-meldungen/meldung/inhaftierte-journalisten-in-lebensgefahr/ [16.09.2019]
Süddeutsche Zeitung (2018, 10. September): Internierungslager für eine Million Uiguren. URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/china-internierungslager-fuer-eine-million-uiguren-1.4122300 [16.09.2019]
Über Tim Schröder
Tim Schröder, Jahrgang 1998, studiert seit 2016 Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin. Im September 2018 ging er mit dem Chinese Scholarship Council Stipendium des chinesischen Bildungsministeriums zum Studium an die chinesischen Eliteuniversität Shanghai Jiao Tong und lebte für sechs Monate in einer chinesischen Gastfamilie. Sein Studium beendet Tim Schröder im Jahr 2021 mit Master of Science mit dem Schwerpunkt auf Künstliche Intelligenz und Kognitive Systeme.