Interview mit Henrik von Haslingen – Teil 1
Die Blockchain-Technologie sorgt für Gesprächsstoff über Industriegrenzen hinweg. Gerade im Finanzsektor findet sie immer häufiger statt. Auf unserem Blog haben wir bereits „Fünf Fakten über Blockchain, die Controller kennen müssen“ vorgestellt. Bereits seit einigen Jahren beschäftigt sich Henrik von Haslingen, intensiv mit Kryptowährungen und der Blockchain-Technologie. 2017 hat er unter anderem an der University of Nicosia ein Seminar zum Thema Cryptocurrency/Blockchain, MOOC belegt. Für den C4B Blog haben wir Henrik von Haslingen zur Blockchain-Technologie interviewt.
Herr von Haslingen, wie sind Sie auf die Blockchain-Technologie aufmerksam geworden?
Ich habe mich in der Vergangenheit viel und gerne mit ökonomischen Theorien beschäftigt. Dabei bevorzugte ich immer die Ansätze, die in Richtung liberales Denken gingen und freie, offene Märkte postulierten. Zentralisierten Planungen begegnete ich dadurch auch immer eher skeptisch. Die im Laufe der Jahre aufkommenden virtuellen Währungen oder sogenannten Internetwährungen habe ich zunächst ebenfalls mit Vorsicht betrachtet. Doch als das Thema Bitcoin immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, wurde ich hellhörig. Bitcoin, die heute nach Marktkapitalisierung größte Kryptowährung, wurde 2009 geschaffen. Die Innovation war das, was wir heute als Blockchain bezeichnen. Die Kryptowährung bot erstmalig eine Lösung für das sogenannte Vermehrte-Ausgaben-Problem (Double-Spend Problem). Im Frühjahr 2017 habe ich dann begonnen, mich intensiver mit Kryptowährungen, unter anderem Bitcoin, und der dahinter liegenden technologischen Grundlage, der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) zu befassen. Die Blockchain, eine der grundlegenden Technologien für Kryptowährungen wie den Bitcoin, ist eine der bekanntesten Distributed-Ledger-Technologien.
Was fasziniert Sie an der DLT beziehungsweise Blockchain-Technologie?
Mich fasziniert die Möglichkeit, dezentral und virtuell Werte weiterzugeben, die Möglichkeit, unabhängig von einer zentralen Einheit wirtschaftliche Aktivitäten zu koordinieren. Blockchain ist „trustless“, das heißt der Mechanismus erzeugt Einigkeit, Consensus ohne Vertrauen. – und dies durch einige Lösungen zu einem Bruchteil der bisherigen Kosten. Mit der Blockchain-Technologie wurde ein Lösungsansatz gefunden, der es erstmals ermöglicht, manipulationssicher und damit zweifelsfrei Daten zu Identität, Eigentum, Verifizierung oder Wertetransfer fälschungssicher digital abzubilden. Und damit das Potenzial hat, Institutionen global zu ersetzen.
Die Blockchain-Technologie beziehungsweise DLT wird vielfach als die nächste Revolution nach dem Internet bezeichnet. Halten Sie diesen Hype für berechtigt?
Die Präsidentin und CEO von IBM, Ginni Rometty, sagte einmal: „Blockchain could do for transaction what the Internet did for communication.“ Ich glaube zwar, dass DLT unsere gesellschaftlichen Strukturen in vielerlei Hinsicht verändern wird, aber in anderer Art und Weise als es das Internet gemacht hat. Internet ermöglicht Zentralisierung, DLT wirkt entgegengesetzt für Dezentralisierung und ermöglicht Unabhängigkeit von intermediäre, wie Banken, Versicherungen und andere Institutionen, die bislang Garanten für eine vertrauenswürdige Geschäftsabwicklung sind.
Das Internet hat ja die Kommunikation insgesamt sehr verändert und führte letztlich dazu, dass jedes Unternehmen heutzutage zumindest mit einer Website im Internet präsent sein muss, Im Gegensatz dazu glaube ich allerdings nicht, dass ein Blockchain für jedes Unternehmen Sinn macht. Vorteile werden diejenigen allerdings sicherlich haben, die diese Technologie – und hier meine ich befindliche Systeme und Plattformen – für ihre externen Transaktionen nutzen können. Der Vorteil, die Unabhängigkeit von einer zentralen Instanz, ist nicht für jedes Geschäftsmodell, etwa des eines Friseurs oder eines Bäckers sinnvoll oder notwendig. Allerdings geht es auch bei diesen Unternehmern darum, sich auf Umweltveränderungen einzustellen, z.B. eine Kryptowährung in Zahlung zu nehmen, oder einen Preis für Vertrauen zu benennen
Welche Anwendungen sind mit der Technologie Ihrer Ansicht nach sinnvoll oder denkbar für Unternehmen?
Überall, wo Netzwerke mit vielen verschiedenen Partnern vorhanden sind, bietet die Blockchain-Technologie sinnvolle Möglichkeiten zur effizientere Zusammenarbeit. Sie kann dabei ähnlich wie ein gemeinsames Kassenbuch funktionieren, ein sogenanntes Shared Ledger, und gemeinsame, unveränderbare Aufzeichnung aller Transaktionen ermöglichen, die innerhalb dieses Netzwerkes stattfinden. Den jeweils berechtigten Partnern gestattet sie den Zugriff auf die vertrauenswürdigen Daten in Echtzeit. Die Supply Chain ist ein gutes Beispiel, in der diese Technologie Sinn ergibt. Sie erlaubt, dass die unterschiedlichen Handelspartner eine von allen verabschiedete, gemeinsame Sicht auf die Transaktion bekommen, bei der darüber hinaus die Vertrauenswürdigkeit und der Datenschutz sichergestellt sind.
Können Sie uns Praxisbeispiele nennen?
IBM hat beispielsweise in Kooperation mit Maersk, weltweit führend im Bereich Container-Logistik, ein Blockchain-Werkzeug entwickelt, mit dem jeder Beteiligte an einer Lieferkette den Fortschritt einer Lieferung sehen kann, darunter auch, wo sich ein Container befindet und wie der Status der Dokumente dazu ist. Die Hoffnung dabei: Logistiker müssen weniger Schreibarbeit leisten, und Zollbehörden und Kunden wissen jederzeit, wo die Ware ist. Eine derartige Kooperation gibt es auch zwischen IBM und großen Playern der Nahrungsmittelindustrie wie Nestlé, Unilever und Walmart. Ziel der Zusammenarbeit in der Nahrungsmittelbranche ist es, die Rückverfolgbarkeit von Produkten zu erhöhen oder zu erleichtern. Das soll einerseits dazu beitragen, dass eventuell erforderliche Rückrufaktionen von Nahrungsmitteln schneller abgewickelt werden können, andererseits aber auch den durch solche Aktionen entstehenden Schaden begrenzen, indem die verunreinigten und daher zu vernichtenden Chargen genauer bestimmt werden können. Beispiele für den Öffentlichen Sektor gibt es auch. So hat beispielsweise Georgien im April 2017 in Zusammenarbeit mit der Firma Bitfury bereits mit der Registrierung von Grundbesitz in einer Blockchain begonnen.
Ende der Woche veröffentlichen wir den zweiten Teil des Interviews mit Henrik von Haslingen. Dort geht es u.a. um das Potenzial von Blockchain und auch die Herausforderungen, die Technologie mit sich bringt.